Wie auf einem anderen Planeten
Moorwanderungen im Baltikum
Innerhalb von wenigen Metern ändert sich die Landschaft schlagartig. Sind wir noch auf einem gut ausgebauten Waldweg zwischen hohen Kiefern gelaufen, werden die Bäume plötzlich immer kleiner und weniger, der Boden immer feuchter, bis sich lediglich ein schmaler Pfad aus Holzplanken vor uns durch die Landschaft schlängelt, dem wir nun mehrere Kilometer lang folgen müssen. Ein rechts oder links abbiegen gibt es nicht. Würde die Sicht nicht von vereinzelten kleinen Kiefern und Birken versperrt, könnte man endlos in die Ferne sehen. Der Boden ist überwachsen mit Moos, Gräsern und kleinen Sträuchern, unterbrochen von unzähligen Seen und Tümpeln, deren Wasser braun bis schwarz ist und nur zwei Zentimeter tief in sich blicken lässt. In der Luft schwirren die Schnaken und verschiedene Vögel kündigen unser Kommen an, während in unseren Nasen der Geruch nach faulen Eiern hängt. Ansonsten herrscht Stille. Kein Auto, kein Motorrad oder anderer vom Menschen erzeugter Lärm. Nur der Wind bläst uns in den Ohren. Im Matsch sehen wir ab und zu die Fußabdrücke von Wölfen, Wildschweinen und Rehen, die sich aber leider, oder auch zum Glück, nicht haben blicken lassen. Lediglich eine Sumpfschlage flüchtet vor uns ins Schilf. Würden wir den Holzsteg verlassen und auf das Moos treten, würden wir bis zu den Knöcheln im Wasser stehen.
Was für uns wirkt wie ein anderer Planet ist aber nicht irgendwo auf dem Mars, sondern sind riesige Moorlandschaften, die die Flora im gesamten Baltikum dominieren.
Dass wir heute über die Holzplanken in den verschiedenen Mooren wandern können, verdanken wir dem Abschmelzen der Gletscher vor ca. 10.000 Jahren. Das Wasser konnte nicht abfließen und überflutete die Gebiete. Durch tote Pflanzen und Tiere, die durch den Sauerstoffmangel im Wasser nicht abgebaut werden konnten, bildete sich über Jahrtausende eine mehrere Meter tiefe Torfschicht, die bis heute immer weiter wächst.
Im Gegensatz zu Deutschland, in dem mittlerweile durch Eingriffe des Menschen nur noch ein bis zwei Prozent der ursprünglichen Moorfläche vorhanden sind, ist gefühlt das halbe Baltikum mit ihnen bedeckt. Das liegt mit unter daran, dass die ehemalige Sowjetunion sehr schnell neue Naturschutzgesetze erlassen und sich stark für den Erhalt der Natur eingesetzt hat. Hier haben sie zumindest einmal was Gutes getan. Denn die Moore sind ein wichtiger Lebensraum für seltene und geschützte Pflanzen und Tiere. Für die Zugvögel ist es eine essentielle Futterquelle, um ihre Energiespeicher für die lange Reise in den Süden und nach der Rückkehr im Frühjahr wieder auf zu füllen. Aber auch für uns Menschen spielen die Moore eine bedeutende Rolle, denn ein Hektar Moor speichert sechsmal mehr CO2 als ein Hektar Wald.
Die Natur ist für uns ein riesengroßes Freilichtmuseum, in dem es an jeder Ecke etwas zu entdecken und zu lernen gibt. So empfinden wir es keineswegs als Einschränkung auf den schmalen Stegen die Moore zu erkunden, sondern sind in erster Linie dankbar dafür, dass die Natur hier geachtet und geschützt wird und solche Wege geschaffen wurden.